Neue Spielregeln bei Arbeitsunfähigkeits­bescheinigungen

Grundsätzlich können Arbeitnehmer mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung den Nachweis führen, dass sie arbeitsunfähig erkrankt sind. Hier haben die Arbeitsgerichte eine bemerkenswerte Entwicklung eingeleitet. Bei berechtigten Zweifeln kann der Arbeitgeber den sogenannten Beweis des ersten Anscheins für die Richtigkeit dieses ärztlichen Attestes mit substantiiertem Vortrag erschüttern.

Krankfeiern gilt nicht (mehr)!

Partner-Beitrag von Ingolf F. Kropp —

Im Ausgangspunkt gab es zwei klassische Fallkonstellationen. So reichte im ersten Fall eine Arbeitnehmerin ihre Kündigung in der Probezeit ein und legte postwendend eine passgenaue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Dauer von zwei Wochen bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses nach. Im zweiten Fall sprach der Arbeitgeber die fristgemäße Kündigung aus. Der Arbeitnehmer, der zu diesem Zeitpunkt wenige Tage arbeitsunfähig krankgeschrieben war, verlängerte dann mit mehreren Erst- und Folgebescheinigungen seine Arbeitsunfähigkeit genau bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses.

In beiden Fällen verweigerte der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung – und zwar nach den Feststellungen des Bundesarbeitsgerichts zu Recht. Es kam zu dem Ergebnis, dass aufgrund der Gesamtumstände erhebliche Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit vorliegen würden und damit der Beweiswert dieser ärztlichen Atteste nachhaltig erschüttert sei. In beiden Fällen bestand zwischen den passgenauen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und dem Ende der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz. Im zweiten Fall kam noch hinzu, dass der Arbeitnehmer unmittelbar nach dem Ende der letzten ärztlicherseits attestierten Arbeitsunfähigkeit eine neue Beschäftigung aufgenommen hatte.

Die Erschütterung dieses Beweises des ersten Anscheins hat zur Folge, dass sich die Beweislast umkehrt. Der Arbeitnehmer trägt nunmehr die volle Beweislast für seine Arbeitsunfähigkeit. Er kann diesen Beweis durch einen sehr detaillierten Tatsachenvortrag über seine Erkrankung und den Krankheitsverlauf unter Angabe des behandelnden Arztes und dessen Entbindung von der Schweigepflicht erbringen. Dabei muss im Einzelnen zu der Diagnose, dem Krankheitsverlauf, den Auswirkungen auf den konkreten Arbeitsplatz, den ärztlichen Anordnungen und Verhaltensmaßregeln sowie zu der Verordnung von Medikamenten vorgetragen werden. Bleiben in einen Prozess, in dem der Arbeitnehmer die Entgeltfortzahlung einklagt, auch nach einer Beweisaufnahme Zweifel an seiner Arbeitsunfähigkeit, gehen diese zu Lasten des Arbeitnehmers. Eine Entgeltfortzahlung braucht dann vom Arbeitgeber nicht geleistet zu werden.

Die aktuelle Rechtsprechung macht deutlich, dass die Erschütterung des Beweiswertes von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht nur auf Kündigungsszenarien beschränkt wird. Beispielhaft seien hier folgende Fallkonstellationen erwähnt:

  • Verstöße gegen Regelungen der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie wie Ausstellung des Attestes nach bloßem telefonischem Kontakt mit dem Arzt oder Bescheinigung einer voraussichtlichen zukünftigen Krankheitsdauer für einen Zeitraum von mehr als zwei Wochen
  • Rückdatierung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
  • Erkrankung nach Ablehnung eines Urlaubsantrages im beantragten Urlaubszeitraum
  • Nichterscheinen beim Medizinischen Dienst oder zur vertrauensärztlichen Untersuchung ohne ausreichende Entschuldigung

Sofern keine Entgeltfortzahlung geleistet wird, sollte der Arbeitgeber hierüber parallel unverzüglich die Krankenkasse informieren. Nur so kann möglicherweise verhindert werden, dass es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen mit der Krankenkasse kommt. Eventuelle Ansprüche des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gehen bei Zahlung von Krankengeld nämlich in dieser Höhe kraft gesetzlicher Regelung auf die Krankenkasse über.

Wie so oft wird es auf die maßgeblichen Umstände des Einzelfalls ankommen. Dabei dürfen an die Erschütterung des Beweiswertes keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Umstände, die zwar jeweils einzeln für sich betrachtet unverfänglich sein mögen, können in der rechtlichen Gesamtschau eine Erschütterung begründen. Die Einholung eines Rechtsrates gerade auch im Hinblick auf die zu erwartende weitere Dynamik in der Rechtsprechung macht daher Sinn.

Ingolf F. Kropp

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht

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