Michael Niemeyer
vereidigter Buchprüfer, Steuerberater, Rechtsanwalt
Das von der Bundeskanzlerin am 3. Juni 2020 vorgestellte Konjunkturpaket bringt insbesondere im Hinblick auf die geplante befristete Umsatzsteuersenkung große Unsicherheiten bei vielen Unternehmern mit sich.
Dabei wird gerade die Bauwirtschaft hauptsächlich bei der ordnungsgemäßen Abrechnung von Teilleistungen und Abschlagszahlungen vor Herausforderungen gestellt, besonders wenn diese über den Zeitpunkt der Umsatzsteuersenkung hinaus ragen oder bereits teilweise vor Umsatzsteuersenkung abgerechnet wurde aber erst nach Umsatzsteuersenkung schlussgerechnet wird. Wir hoffen Ihnen mit dem folgenden Artikel zu den genannten Themen unterstützend zur Seite stehen zu können, bei allen weiteren Fragen stehen wir Ihnen selbstverständlich jederzeit gerne zur Verfügung.
Um die für die Entstehung der Umsatzsteuer maßgeblichen Unterschiede verstehen zu können, bedarf es zunächst einer Definition von Teilleistung und Abschlag.
Bei einer Teilleistung handelt es sich um eine nach objektiven Maßstäben teilbare und selbständig verwertbare Leistung. Zwischen dem leistenden Unternehmer und dem Auftraggeber muss vereinbart worden sein, dass Teilleistungen ausgeführt werden. Zur Hilfestellung, ob eine gewisse Leistung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten teilbar ist, hat die Finanzverwaltung für die Bauwirtschaft mit BMF-Schreiben vom 12.10.2009 für gewisse Bauleistungen Abgrenzungskriterien vorgegeben. Des Weiteren muss die Leistung nicht nur teilbar sein, sondern auch in Teilen geschuldet sein. Dies ist der Fall wenn das Entgelt für die Teilleistung gesondert vereinbart wurde und gesonderte Entgeltsabrechnungen durchgeführt werden. Für Teilleistungen entsteht die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistung ausgeführt worden ist. Kommt es zur Vereinnahmung des Entgelts vor Fertigstellung der Teilleistung, so entsteht die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Teilentgelt vereinnahmt worden ist. Es ist zu beachten, dass auch auf Teilleistungen Vorauszahlungen (bzw. Abschläge oder Anzahlungen) geleistet werden können, in diesem Fall sind die untenstehenden Ausführungen zu Abschlägen maßgeblich. In der Praxis spielt die Abrechnung von Teilleistungen in der Bauwirtschaft eine nachrangige Rolle, da oftmals Abschlagszahlungen auf eine einheitliche Leistung vereinbart werden. Eine Abschlagszahlung ist eine Zahlung eines Teilbetrags aus einem vereinbarten Entgelt, die im Voraus zu leisten ist.
In der Bauwirtschaft handelt es sich regelmäßig um Werkleistungen und Werklieferungen. Ein Werklieferungsvertrag gilt mit Übergabe und Abnahme des fertiggestellten Werks erfüllt bzw. ausgeführt, da dem Auftraggeber in diesem Zeitpunkt die Verfügungsmacht verschaffen wird. Bei sonstigen Leistungen gilt die Leistung als ausgeführt wenn sie vollendet ist und damit regelmäßig auch mit Abnahme der Leistung.
Werden vor Ausführung der Leistungen/Lieferungen Vorauszahlungen (Abschlagszahlungen) vereinnahmt, so führen diese mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums ihrer Vereinnahmung (in der Regel Gutschrift auf dem Konto) zur Entstehung der Steuer unabhängig von der Leistungserbringung. Aus der Rechnung über Abschlagszahlungen muss erkennbar sein, dass damit Vorauszahlungen bzw. Abschlagszahlungen abgerechnet werden. Für Schlussrechnungen mit Abschlägen sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Es muss über die Abrechnung sichergestellt sein, dass die Umsatzsteuer für die Gesamtleistung nur einmal in Rechnung gestellt wird. Das führt regelmäßig dazu, dass in der Schlussrechnung die in Rechnung gestellten Abschläge offen unter Abzug der Umsatzsteuer vom Rechnungsbetrag abgesetzt werden oder der Schlussrechnungsbetrag und die darin enthaltene Umsatzsteuer nur noch den Teil umfasst, der die Abschläge übersteigt.
Was bedeuten die vorangehenden Grundsätze nun konkret für die Abrechnung von Teilleistungen und Abschlagszahlungen im Hinblick auf die geplante Umsatzsteuersenkung zum 1. Juli 2020?
Gemäß der Anwendungsregelung für Änderungen des Umsatzsteuergesetzes gilt soweit nichts anderes bestimmt ist, die Änderung des Umsatzsteuergesetzes (in diesem Fall § 12 UStG Steuersätze) auf Lieferungen und sonstige Leistungen, die ab dem Inkrafttreten der Änderungsvorschrift ausgeführt werden.
Maßgeblich für die Anwendung des Steuersatzes ist damit der Zeitpunkt, in dem die Leistung, Teilleistung oder Lieferung ausgeführt wird.
Für alle Lieferungen, Leistungen und Teilleistungen, die zwischen dem 01.07. und dem 31.12.2020 abgeschlossen werden, gilt damit der geplante, verminderte Umsatzsteuersatz, unabhängig von der Vereinnahmung der Entgelte. Sind hierauf bereits Abschläge/Anzahlungen mit vollem Umsatzsteuersatz geleistet worden, wird über die Schlussrechnung die Umsatzsteuer auf den neuen verminderten Steuersatz berichtigt.
Für die vor dem 01.07.2020 bzw. nach dem 31.12.2020 abgeschlossenen Lieferung, Leistungen und Teilleistungen verbleibt es hingegen beim bisherigen Steuersatz unabhängig von der Vereinnahmung der Entgelte.
Bei Abschlagszahlungen, Anzahlungen und Vorauszahlungen vor Ausführung der Leistung bzw. Lieferung gilt grundsätzlich der jeweilige Steuersatz im Zeitpunkt der Vereinnahmung.
Da bei Vorausleistungen auf die voraussichtliche Leistung/Lieferung abzustellen ist, empfiehlt es sich, auch nach dem 01.07.2020 für Abschläge, Anzahlungen und Vorauszahlungen auf Lieferungen, Leistungen und Teilleistungen, die voraussichtlich erst nach dem 31.12.2020 ausgeführt werden, beim bisherigen Steuersatz zu bleiben. Anderenfalls erfolgt dann auch hier die Berichtigung auf den Steuersatz im Zeitpunkt der Ausführung mit der Schlussrechnung.
Grundsätzlich, aber gerade vor dem Hintergrund der geplanten Umsatzsteuersatzänderung wird die Bedeutung der Umsatzsteuer als Vertragsbestandteil deutlich. Für die in der Praxis verbreitete Nettopreisvereinbarung zzgl. gesetzlicher Umsatzsteuer werden sich aus der Steuersatzänderung keine Auswirkungen ergeben. Hingegen führen Bruttopreisvereinbarungen zur Erhöhung der Nettovergütung von Unternehmern, wenn die Steuer erst nach dem 30.06.2020 entsteht. Je nach dem, auf welcher Vertragsseite man steht, kann es damit zu Be- oder Entlastungen kommen.
In der Praxis können sich durch die Steuersatzänderungen auch Entlastungen bei einer Nettopreisvereinbarung ergeben, wenn die Abnehmer nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, wie beispielsweise Wohnungsunternehmen, Ärzte, Pflegeeinrichtungen oder Privatkunden. Liegt hier die Lieferung, Leistung oder Teilleistung im Zeitraum der Begünstigung vom 01.07. bis 31.12.2020, reduziert sich der Aufwand für den Abnehmer um die Umsatzsteuerdifferenz. Hier empfiehlt sich eine rechtzeitige Abstimmung unter den Vertragspartnern.
Es ist darauf hinzuweisen, dass es bei früheren Steuersatzänderungen gesonderte Übergangsregelungen gab. Ob dies auch für die geplante Steuersatzänderung kommen wird, ist derzeit noch nicht bekannt.
vereidigter Buchprüfer, Steuerberater, Rechtsanwalt
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