Aylin Rommel-Oruç
Rechtsanwältin
Was bereits seit langer Zeit erwartet und befürchtet wurde, ist nun offiziell. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass deutsche Arbeitgeber eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung haben.
Im Jahr 2019 entschied der Europäische Gerichtshof, dass die Mitgliedsstaaten zur Einführung einer objektiven, verlässlichen und zugänglichen Arbeitszeiterfassung verpflichtet sind. Während der deutsche Gesetzgeber zur Umsetzung dieser Richtlinie nun seit drei Jahren über eine mögliche Änderung des Arbeitszeitgesetzes diskutierte, ist das Bundesarbeitsgericht dem Gesetzgeber zuvorgekommen und hat ein einschneidendes Grundsatzurteil gefällt: In Deutschland besteht bereits eine generelle Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. Diese Pflicht folgt nach Auffassung des Gerichts bereits aus § 3 Absatz 2 des Arbeitsschutzgesetzes. Danach sind die Arbeitgeber bereits jetzt verpflichtet, ein System der Arbeitszeiterfassung einzuführen, und zwar in ganz Deutschland und für alle Beschäftigte. Bedenkt man die lange Zeit der Untätigkeit des deutschen Gesetzgebers, war ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts in dieser Deutlichkeit nicht zu erwarten.
Bisher waren die Unternehmen nur eingeschränkt zur Dokumentation der Arbeitszeit verpflichtet. So muss der Arbeitgeber etwa „die über die werktägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer“, also Überstunden oder Arbeiten an Sonn- und Feiertagen aufführen.
Es stellt sich nunmehr die Frage, wie sich das Urteil in einer Zeit der Digitalisierung und Flexibilisierung im Arbeitsverhältnis auswirken wird. Insoweit steht eine ausführliche Begründung des Bundesarbeitsgerichts noch aus. Auch wenn dem „Ob“ der Arbeitszeiterfassung kein Gestaltungsspielraum zukommt, besteht ein solcher hinsichtlich des „Wie“ und damit hinsichtlich der Umsetzung der Arbeitszeiterfassung. Dem Arbeitgeber wird es wohl grundsätzlich möglich sein, die Arbeitszeiterfassung an den Arbeitnehmer zu delegieren. Ein erheblicher bürokratischer Mehraufwand für Arbeitgeber wird sich allerdings dennoch nicht verhindern lassen. So wird er ein entsprechendes System der Arbeitszeiterfassung entwickeln und etablieren müssen.
Dennoch sind aufgrund der erheblichen Unklarheiten nach unserer Auffassung aktuell noch keine negativen Folgen bei der Nichtbeachtung der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung zu befürchten. Insbesondere müsste der Gesetzgeber etwa für die Möglichkeit der Verhängung eines Bußgeldes bei mangelnder Arbeitszeiterfassung durch den Arbeitgeber zunächst eine entsprechende gesetzliche Grundlage schaffen, was in naher Zukunft nicht zu erwarten ist. Darüber hinaus hat das BAG in seinem Urteil vom 04.05.2022 (5 AZR 359/21) jüngst entschieden, dass die Pflicht zur Messung der Arbeitszeit keine Auswirkungen auf die Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess hat. Danach bleibt es wohl vorerst auch bei einer Pflichtverletzung durch den Arbeitgeber dabei, dass der Arbeitnehmer im Prozess darzulegen hat, dass er die Überstunden geleistet hat und diese durch den Arbeitgeber veranlasst wurden.
Es wird deutlich, dass trotz der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts weiterhin viele offene Fragen bestehen, weshalb wir die aktuellen Entwicklungen verfolgen und Sie entsprechend informieren werden.
Für weitere Fragen zu möglichen Rechtsfolgen und einem etwaigen Handlungsbedarf stehen wir Ihnen selbstverständlich jederzeit zur Verfügung.
Bild: ©pixaby
Rechtsanwältin