Aylin Rommel-Oruç
Rechtsanwältin
Frauen haben einen Anspruch auf das Entgelt, das der Arbeitgeber männlichen Kollegen für gleiche oder gleichwertige Arbeit zahlt. Dies stellte das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seiner Entscheidung vom 16.02.2023 klar.
In dem zugrundeliegenden Fall hatte eine Vertriebsangestellte ihre Arbeitgeberin auf ein höheres monatliches Grundentgelt und eine Entschädigung wegen geschlechtsbezogener Diskriminierung in Gestalt einer Lohnbenachteiligungsdiskriminierung verklagt.
Die Klägerin wurde Anfang März 2017 zu einem Grundgehalt von 3.500,00 EUR brutto als Mitarbeiterin im Vertrieb eingestellt. Zuvor war im Januar 2017 bereits ein männlicher Arbeitnehmer ebenfalls als Mitarbeiter im Vertrieb eingestellt worden. Die Arbeitgeberin hatte auch diesem Arbeitnehmer ein identisches Grundgehalt angeboten, der Arbeitnehmer verhandelte mit ihr allerdings eine Erhöhung um 1.000,00 EUR brutto. Die Klägerin vertrat die Auffassung, die Arbeitgeberin müsse ihr ein ebenso hohes Entgelt zahlen wie ihrem fast zeitgleich eingestellten männlichen Kollegen. Dies folge daraus, dass sie dieselbe Arbeit wie dieser verrichte.
Während die ersten beiden Instanzen die Klage noch abgewiesen hatten, sah das BAG in dieser Konstellation einen Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot und sprach der Klägerin neben dem rückständigen Zahlungsanspruch auch eine Entschädigung für die damit einhergehende Diskriminierung zu.
Der Anspruch der Klägerin auf das gleiche Grundentgelt wie das ihres männlichen Kollegen ergebe sich aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in Verbindung mit dem Entgelttransparenzgesetz. Nach dem AEUV hat jeder Mitgliedstaat die Anwendung des Grundsatzes der Entgeltgleichheit für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicherzustellen. Mit dem Entgelttransparenzgesetzes hat der deutsche Gesetzgeber diese Vorgaben konkretisiert. Danach ist eine mittelbare oder unmittelbare Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts bei gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit und damit die Vereinbarung oder Zahlung eines geringeren Entgelts verboten. Die Tatsache, dass die Klägerin für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Entgelt als ihr männlicher Kollege erhalten hat, begründe insoweit die Vermutung, dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt sei. Diese Vermutung konnte die Arbeitgeberin nicht widerlegen. Insbesondere könne sich die Arbeitgeberin nicht auf das Verhandlungsgeschick des männlichen Arbeitnehmers berufen. Vielmehr müsse sie darlegen und beweisen, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsverbot vorliege, sondern ausschließlich andere Gründe zu einer Ungleichbehandlung geführt haben. Dies war der Arbeitgeberin im konkreten Fall nicht möglich.
Mit seiner Entscheidung beschränkt das BAG die Vertrags- und Verhandlungsfreiheit der Arbeitgeber nicht unwesentlich. Für Arbeitgeber stellt sich die Frage, ob und wie sie zukünftig Gehaltsanpassungen sowie Gehaltsverhandlungen auszugestalten haben. Mit dem Urteil des BAG dürfte zumindest feststehen, dass bei Vergütungsunterschieden zwischen Männern und Frauen stets objektive Gründe vorliegen müssen, die eine entsprechende Unterscheidung rechtfertigen. Arbeitgebern ist daher zu raten, diese Gründe bereits im Vorfeld zu bestimmen. Die Einführung objektiver geschlechtsneutraler Vergütungskriterien stellt dabei ein effektives Gestaltungsinstrument dar.
Die Entscheidung macht deutlich, dass es bei einer Diskriminierung gerade nicht auf die Diskriminierungsabsicht des Arbeitgebers ankommt. Eine mittelbare Diskriminierung ergibt sich im vorliegenden Fall offenbar aus der Annahme, Frauen seien bei Gehaltsverhandlungen zurückhaltender als Männer. Diese Diskriminierungsvermutung kann durch den Arbeitgeber faktisch kaum entkräftet werden. Auch vor diesem Hintergrund ist der mit diesem Urteil verbundene Eingriff in die Privatautonomie des Arbeitgebers nach der hier vertreten Auffassung zu weitgehend. Gleichwohl ist das Urteil des BAG eindeutig – Entgeltgleichheit ist keine Verhandlungssache.
Rechtsanwältin