Vom Arbeitnehmer geleistete Überstunden sind weiterhin von diesem nachzuweisen

Wer muss im Überstundenvergütungsprozess die Überstunden beweisen? – Jüngste Rechtsprechung bestätigt bisherige Grundsätze

Abgeltung von Überstunden

Beitrag von Aylin Rommel-Oruç —

Ein Arbeitnehmer ist verpflichtet, seine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit zu erbringen. Sobald diese überschritten wird, handelt es sich hierbei um Überstunden. Nicht selten kommt es zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber hinsichtlich der Vergütung dieser Überstunden zu Streitigkeiten, die oftmals in einem Überstundenvergütungsprozess enden. Im Prozess stellt sich dann regelmäßig die Frage der Darlegungs- und Beweislast für die geleisteten Überstunden.

Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts war der Arbeitnehmer bisher im Rahmen einer sog. abgestuften Darlegungs- und Beweislast verpflichtet, schriftsätzlich vorzutragen, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat. Auf den Vortrag des Arbeitnehmers musste der Arbeitgeber anschließend in zweiter Stufe substantiiert erwidern und im Einzelnen vortragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und an welchen Tagen und in welchem Umfang der Arbeitnehmer die Arbeiten erfüllt bzw. nicht erfüllt hat. Daraufhin musste der Arbeitnehmer sodann in der 3. Stufe darlegen, dass die Leistung der Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt oder geduldet wurde oder diesem zumindest zuzurechnen sind. Insgesamt lag die Darlegungs- und Beweislast damit bisher beim Arbeitnehmer.

Im Mai 2019 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) im sog. „Stechuhr-Urteil, dass die tatsächlich geleistete Arbeitszeit durch den Arbeitgeber erfasst und dokumentiert werden müsse, um einen effektiven Arbeitnehmerschutz gewährleisten zu können. Als Konsequenz dieses Urteils wurde erwartet und befürchtet, dass es entsprechende Auswirkungen auf die bisher entwickelten Grundsätze des Bundesarbeitsgerichts zur Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess haben würde.

Entgegen diesen Erwartungen hat das Bundesarbeitsgericht nun jüngst an seinen ursprünglich aufgestellten Grundsätzen auch unter Bezugnahme auf das sog. „Stechuhr-Urteil“ festgehalten.

Konkret ging es bei dem am 04.05.2022 durch das Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall um einen Auslieferungsfahrer, der seinen Arbeitgeber auf Zahlung von Überstunden verklagt hatte. Zwar führte der Arbeitgeber eine technische Anwesenheitserfassung durch, allerdings ermöglichte diese lediglich die Erfassung von Beginn und Ende der Arbeitszeit, nicht aber eine Eintragung von Pausenzeiten. Nach der Auswertung der Zeiterfassung mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses ergab sich ein positiver Saldo von 348 Stunden zugunsten des Klägers. Die Bezahlung für diese Stunden forderte er nunmehr mit dem Argument ein, dass die Pausen nicht genommen werden konnten, da sonst die Auslieferungsaufträge nicht hätten abgearbeitet werden können. Die Beklagte hat dies bestritten.

Das Arbeitsgericht Emden sprach dem Auslieferungsfahrer die Abgeltung der Überstunden trotz Beweisfälligkeit in 1. Instanz unter Bezugnahme auf das „Stechuhr-Urteil“ des EuGH zu. Es vertrat die Auffassung, dass der Arbeitgeber zur Erfassung der Arbeitszeiten auf Grundlage einer unionsrechtkonformen Auslegung seiner Fürsorge- und Schutzpflichten aus § 618 BGB verpflichtet sei, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer aufzuzeichnen und zu kontrollieren. Sofern ein Arbeitgeber dies nicht tue, gehe dies im Überstundenprozess zu seinen Lasten, sodass der Arbeitgeber die Beweislast dafür trage, dass der Arbeitnehmer die streitigen Überstunden nicht geleistet hat.

Dies sahen das Landes- und Bundesarbeitsgericht anders. Sie wiesen die Klage überwiegend ab und stellten klar, dass an den zur Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess aufgestellten Grundsätzen auch das Stechuhr-Urteil nichts ändere. Die Vorgaben des EuGH dienten dem Gesundheitsschutz und fänden daher keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer.  Damit hat der Arbeitnehmer weiterhin im Rahmen einer doppelten Anforderung erstens darzulegen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden Umfang geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers hierzu bereitgehalten hat, und sodann zweitens vorzutragen, dass der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat.

Auf Arbeitgeberseite dürfte die Entscheidung zu einer großen Erleichterung führen, denn mit dem Festhalten an seinen ursprünglich aufgestellten Grundsätzen zur Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess hat das Bundesarbeitsgericht eine Großzahl von Arbeitgebern vor einer Welle von Überstundenprozessen bewahrt.

Bild: ©Pixabay

Aylin Rommel-Oruç

Rechtsanwältin

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